Geistliches Wort zum Karfreitag, den 10. April 2020
Johannesevangelium 3,1-3+14-16
Unter den Pharisäern gab es einen Mann namens Nikodemus; er war ein Mitglied des Hohen Rates. Eines Nachts kam er zu Jesus: »Rabbi«, sagte er, »wir wissen, dass Gott dich als Lehrer zu uns gesandt hat. Denn niemand kann die Wunder tun, die du vollbringst, wenn Gott sich nicht zu ihm stellt.« Darauf erwiderte Jesus: »Ich versichere dir, Nikodemus: Du weisst doch, wie Mose in der Wüste eine Schlange aus Bronze an einer Stange aufrichtete, damit jeder, der sie ansah, am Leben blieb. Genauso muss auch der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, durch ihn das ewige Leben hat. Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben.
Predigt
In Gottes Namen. Amen.
Es ist Karfreitag. Das Kreuz Jesu steht im Zentrum dieses Tages. Rücken wir es darum in den Mittelpunkt unserer Gedanken und versuchen, es zu verstehen. Jesus selbst sagt darüber: Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben.
Um sein Kreuz verständlich zu machen, vergleicht Jesus es mit einer Geschichte aus dem alten Israel, die bei den Leuten damals so bekannt war, wie bei uns die Geschichte von Wilhelm Tell. Sie geschah damals, als die Israeliten der Sklaverei in Ägypten glücklich entkommen waren. Da zogen sie etliche Jahre durch die Wüste, ehe sie ins von Gott versprochene Land kamen. In der Wüste wie ein Nomade zu leben ist hart. Darum rebellierten die Israeliten immer mal wieder gegen Mose und warfen ihm und damit auch Gott vor, sie aus der Sklaverei geführt zu haben, nur damit sie hier in der Wüste jämmerlich umkommen. Für diese undankbare Gottvergessenheit strafte der Herr sein Volk mit einer Giftschlangenplage.
Durch die tödlichen Bisse starben viele. Panik kam auf und das Bewusstsein, sich gegenüber Gott unangemessen verhalten zu haben. Die Israeliten bitten Mose um Hilfe. Mose betet für sein Volk. Und Gott lässt Mose eine Schlange aus Bronze an einer Stange befestigen. Er soll die bronzene Schlange gut sichtbar aufrichten. Wer einen giftigen Biss erhält und auf die bronzene Schlange schaut, wird gerettet und am Leben bleiben.
An dieses Ereignis erinnert Jesus. In vergleichbarer Weise ist sein Kreuz zu verstehen, wenn wir es am Karfreitag in besonderer Weise anschauen.
Ich lege das Kreuz Jesu darum so aus: Wir sollten auf das Kreuz Jesu schauen. Es ist erhöht. Sprich, es ragt heraus aus dem, was man sonst so sieht. Es überschreitet den gängigen Horizont. Das Kreuz ist ein Zeichen Gottes in der Welt.
Schauen wir also darauf nicht nur mit einem flüchtigen Blick, sondern gedanklich vertieft. Und beginnen zu verstehen: Was Gott durch das Kreuz Jesu bewirkt, rettet.
Es rettet nicht aus etwas heraus. So verstehen wir das Stichwort «Rettung». Dass man glücklich aus einer bedrohlichen Situation herausgekommen ist. Die Rettung, die sich mit dem Kreuz Jesu verbindet, rettet aber nicht heraus aus etwas, sondern rettet hinein ins ewige Leben. Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben.
Damit sind wir herausgerettet aus dem Fatalismus des Schulterzuckens, weil ja doch alles kommt, wie es kommt. Was soll man also machen? Welchen Wert hat das, etwas zu tun?
Wer auf das Kreuz Jesu schaut, versteht: Gott stellt das Kreuz diesem Fatalismus, der ganz aus dem Blick verliert, dass es Gott gibt, entgegen. Gott reisst uns, die wir so oft nur unseren Alltagshorizont sehen und nicht mehr, durch das Kreuz den Horizont seiner Ewigkeit auf.
Wer auf das Kreuz Jesu schaut, erkennt: Nichts tun, ist nichts wert. Der Blick auf das Kreuz stellt uns ins Leben. Ins Leben hier und jetzt und ins ewige Leben. Das gibt Kraft und schenkt einem Haltung, das Richtige zu tun. Das, was eigentlich dran wäre. Nur habe ich es bisher nicht gemacht, weil ich nicht die Courage dazu gefunden habe und auch nicht ins Gerede hinter der vorgehaltenen Hand kommen wollte.
Der Blick auf das Kreuz Jesu schenkt nicht nur Courage, das Richtige zu tun, sondern auch Kraft anzunehmen und auszuhalten, was einem hart ankommt. Anzunehmen und auszuhalten auch wenn es unter Tränen und Sorgen geschieht. Nicht einzuknicken, sondern auf das Kreuz zu schauen und zu stehen, auf beiden Beinen im Leben. Mit dem einen auf dem Boden der Tatsachen hier und jetzt. Mit dem anderen auf dem Boden der Liebe Gottes einst und ewiglich. Christen stehen durch das Kreuz Jesu im Leben im doppelten Sinne.
Wir begehen diesen Karfreitag unter besonderen Umständen. Doch sie hindern uns nicht daran, auf das Kreuz zu schauen. Vielleicht bei einer kleinen Visite in unseren offenen Kirchen. Oder im Blick auf ein Kreuz an der Wand in der eigenen Wohnung oder auf einem Foto. Oder man schaut in Gedanken auf das Kreuz.
Es ist Karfreitag. Das Kreuz Jesu steht im Mittelpunkt dieses Tages. Schauen wir auf das Kreuz und vertrauen uns dem an, wovon es Zeugnis gibt: Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben. Amen.
Gebet
Herr, barmherziger, himmlischer Vater.
Du hast die Menschen so sehr geliebt,
dass du deinen Sohn für sie gabst,
damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht,
sondern das ewige Leben hat.
Wir schauen auf das Kreuz Jesu und bitten:
Lass uns deine Liebe spüren und stell uns neu ins Leben, Herr.
Wir bitten dich für alle,
die von Ängsten beherrscht werden,
für die, welche die Angst anderer Menschen nicht erkennen
und für die, die in ihrer Angst alleine sind.
Für sie bitten wir:
Lass sie deine Liebe spüren, Herr, und stelle sie neu ins Leben.
Wir bitten dich für alle,
die vergeblich auf die Hilfe anderer Menschen warten,
für die, die sich und anderen nicht eingestehen können, dass sie Hilfe brauchen,
und für die, die nicht sehen, wenn Menschen Beistand benötigen.
Für sie bitten wir:
Lass sie deine Liebe spüren, Herr, und stelle sie neu ins Leben.
Wir bitten dich für alle,
die keinen Ausweg mehr sehen und vor dem Nichts stehen,
für die, die den Mut zu einem Neuanfang verloren haben
und für die, welche die leeren Hände eines Hoffnungslosen übersehen.
Für sie bitten wir:
Lass sie deine Liebe spüren, Herr, und stelle sie neu ins Leben.
Wir bitten dich für alle,
deren Einsamkeit niemand bemerkt,
für die, die einander ständig missverstehen
und für die, die nur sich selber sehen können.
Für sie bitten wir:
Lass sie deine Liebe spüren, Herr, und stelle sie neu ins Leben.
Und wir bitten für uns selbst und für die Menschen in unseren Dörfern.
Stelle uns neu ins Leben, Herr,
schenke uns Zuversicht
und Gemeinschaft über die Hemmnisse der derzeitigen Situation hinweg.
Schenke uns Kraft zur Hoffnung, Kraft zur Vergebung und Kraft zum Durchhalten.
Darum bitten wir dich im Namen Jesu, unseres Herrn,
der das Kreuz auf sich genommen hat, damit wir aufrecht gehen können.
Amen.