Geistliches Wort zum Sonntag, 10. Mai 2020

 

Matthäusevangelium 18,12-14

Christus spricht: Was meint ihr: Wenn ein Mann hundert Schafe hat und eins läuft ihm davon, was wird er tun? Lässt er nicht die neunundneunzig in den Bergen zurück, um das verirrte Schaf zu suchen? Und ich versichere euch: Wenn er es endlich gefunden hat, freut er sich über dieses eine mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verlaufen hatten. Ebenso will mein Vater nicht, dass auch nur einer, und sei es der Geringste, verloren geht.

 

Predigt

«Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.» Der Anfangsvers des 98. Psalms ist der Bibelspruch für diesen Sonntag und für die Woche, die vor uns liegt. Und Gott, der Herr, gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Ich weiss nur nicht, ob Ihnen momentan nach singen ist. Sollte dem nicht so sein, ist Ihnen vielleicht nach wundern? Jesus jedenfalls erzählt ein Gleichnis über das, worüber wir uns wundern dürfen. Das Gleichnis von den hundert Schafen, wo eins wegläuft.

Na und? Wenn jemand seine eigenen Wege gehen will, dann lass ihn doch! So ungefähr wäre unsere Reaktion. Und die ist nicht einmal böse gemeint. Denn wenn jemand das will, eigene Wege gehen, dann lass ihn machen. Es ist vielleicht schade, dass er sich absondert, aber er wird sich schon was dabei gedacht haben.

Vielleicht würde man auch gern hinterhergehen. Nur ist man unsicher, ob das nicht wie ein Bedrängen aussieht, das dem anderen eher lästig ist. Und das möchte man eben nicht: Einem anderen durch zu viel Aufmerksamkeit lästig werden.

Gott reagiert da ganz anders, sagt Jesus mit seinem Gleichnis. Und mir ist das Gleichnis vom verirrten Schaf in seiner Tiefendimension auch erst so richtig aufgegangen, seit ich es mit meinem Sohn nachgespielt habe.

Das war eine Aufgabe aus dem Religionsunterricht für Zuhause. Um am eigenen Leib nachzuempfinden, was Jesus über Gott mitteilen will, sollten die Kinder zu Hause das Gleichnis mit jemandem nachspielen. Mein Sohn wollte das Schaf spielen und ich sollte den Mann übernehmen, dem es gehört. Da war ich also dran. Etwas untermotiviert tat ich meinem Sohn den Gefallen und spielte mit, und erlebte meine Lektion über Gott.

Mein Sohn schlich sich weg und ich musste ihn finden. Was tun? Nach ihm rufen? Wäre das klug? Nimmt es mir doch die Chance, ihn zu hören, ob er irgendein Geräusch verursacht. Und wer weiss, ob er auf das Rufen reagieren würde in seiner Rolle.

Gott schreit nicht. Er hört. Er sucht uns mit den Ohren. Das war meine erste Lektion an diesem Nachmittag. Und wenn er uns hört, erhört er uns auch so manches Mal, und nimmt uns mit. Nur wie? Jesus sagt darüber nichts.

Ich habe da meine eigene Erfahrung gemacht im Nachspielen des Gleichnisses mit meinem Sohn. Ich suchte ihn einige Zeit und merkte so ganz nebenbei, dass Gott Geduld mit uns hat. Ausdauer ist eine Eigenschaft Gottes. Als ich meinen Sohn endlich gefunden hatte, stand ich vor der Frage: Wie bringe ich ihn zurück in sein Zimmer? Tragen war keine Möglichkeit, da die Treppe viel zu schmal ist. Das gäbe Beulen und Schmerzen. Also sagte ich nur: «Na, komm!» Tippte ihm an die Schulter und dirigierte ihn so zur Treppe und hinauf in sein Zimmer.

Er hätte jederzeit abbiegen können, irgendwo anders hin. Er tat es nicht. Und ich lernte meine zweite Lektion über Gott: Er zwingt dich nicht. Er tippt dich durch die Ereignisse deines Lebens hindurch an. Er leitet dich, aber er packt dich nicht und zerrt nicht an dir herum. Gottvertrauen ist die Sache des Menschen, ist immer meine Sache: Will ich mitgehen? Lasse ich mich darauf ein?

Wie oft klagen wir Gott an, wenn es für uns ärgerlich läuft, und treffen mit dieser Anklage uns selber? Weil wir einfach nach eigenem Gusto abgebogen sind? Was mich betrifft, fallen mir Situationen ein, wo es so war. Aber da muss jeder selbst auf seinen Lebensweg schauen, wie es sich damit verhält.

Ist die Corona-Krise ein hartes Tippen Gottes auf unsere Schultern? Ganz ehrlich: Ich kann es nicht sagen. Aber vielleicht sollten wir diese Krise zum Anlass nehmen, weniger nach eigenem Gusto und mehr nach Gottes Worten zu leben. Als Einzelner. Und als Gesellschaft. Es wäre ein Nutzen für alle Welt. Für unsere Alltagswelt und auch für die Tierwelt, die Pflanzenwelt und die Umwelt.

Doch was mir beim Nachspielen des Gleichnisses vom verirrten Schaft noch durch den Kopf ging, war die Frage: Ist das nicht anzüglich, mit einem Schaf verglichen zu werden? Wo doch der Begriff «Schaf» in unserer Umgangssprache ein Schimpfwort ist für Dumme?

Nun, Schafe brechen immer mal wieder aus und gehen ihre Irrwege. Gescheit ist das nicht. Schafe sind halt im Richtigen wie im Verkehrten Wiederholungstäter. Ganz so wie wir Menschen auch.

Aber Gott winkt nicht ab: Na lass sie doch laufen! Er geht uns immer wieder nach. Wie gesagt, Ausdauer ist eine Eigenschaft Gottes. Ihm ist keiner egal. Auch nicht die Geringsten. Selbst nicht die, die sich aufführen wie Schafe.

Das ist es, worüber wir uns wundern dürfen, im guten, im dankbaren Sinne des Wortes. Denn diese Ausdauer hätten wir wohl eher nicht.

Gott sei Dank hat sie aber unser himmlischer Vater. Es ist nur an uns, ihm zu vertrauen und uns von ihm leiten zu lassen. Und die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft, die wir durch seinen Geist haben, sei mit uns in alldem. Amen.

 

Gebet

Himmlischer Vater,
mit unserem Beten wollen wir die Töne unseres Lebens dir anvertrauen.
Durch unser Da-Sein in unserer Familie, in unserer Nachbarschaft und auf unserer Erde
lass Töne ins Leben eingebracht werden, die uns oder andere verwundern,
weil sie neu klingen, anders und ungewohnt,
Töne, die von deiner Liebe singen und von deiner Gnade erzählen.
Wir leben in ziemlich festen Bahnen.
Das ist ja an sich nicht verkehrt.
Nur wenn unsere vertrauten Wege zu Irrwegen werden,
weil wir die Ziele, die wir eigentlich ansteuern wollten, aus dem Blick verlieren,
dann lass deine Worte in unserem Herz und unseren Sinnen tönen, Gott.
Nicht so, dass uns dadurch der Marsch geblasen wird,
sondern so, dass die Schönheit und die Freiheit deines Willens
uns begeistert und beflügelt
und wir in dieser Richtung unterwegs sind mit unserem Leben
und mit unserer Stimme deine Melodie in die Welt tragen.
Wenn wir drohen, mit unserem Dasein verkehrt abzubiegen im Leben,
lass deine Liebe in unserem Herz und unseren Sinnen tönen, Gott.
Nicht so, dass es alles nach heiler Welt und zu schmalzig klingt,
sondern so, dass die Entlastung und die Ermutigung deiner Liebe
uns den Rücken stärkt und uns aufrecht unterwegs sein lässt in unserem Leben.
Die Schritte aus der Corona-Krise fangen gerade erst an.
Lass sie gelingen, Gott, uns ganz persönlich und uns als Gesellschaft.
Gib uns den Mut zu neuen Tönen im Umgehen miteinander
und zu neuen Schritten im Zugehen auf die Ziele, die wirklich erstrebenswert sind,
weil sie uns und allem Leben Raum zum Dasein lassen.
Leite uns, Gott, immer wieder und höre nicht auf damit.
Wir vertrauen uns und die Welt dir an.

Amen.